Irgendwie wird ja in der letzten Zeit viel darüber geredet. Die Auto-Vorstände, die Politiker, die Ingenieure und wer auch immer noch, werden niedergemacht. Okay, ich will nichts beschönigen und die Handlungen nicht gut heißen, aber ich denke, dass die meisten eigentlich nicht wirklich wissen, um was es bei dem Skandal geht.
Da ich mich vor einigen Monaten, als der Skandal frisch raus gekommen war, ein wenig damit beschäftigt habe, um für ein Chemie ein schönes Arbeitsblatt zu erstellen, behaupte ich etwas besser zu verstehen, um was es da eigentlich ging bzw. geht.
Erst einmal die Chemie
Fakt ist, dass der Dieselmotor im Vergleich zum Benziner mehr sogenannte NOx produziert. NOx steht für verschiedene Verbindungen, die aus Stickstoff und Sauerstoff bestehen. Und da gibt es eine ganze Menge:
- NO, NO₂, N₂O, NO₃, N₂O₃, … nur um ein paar mal zu nennen.
Allgemein nennt man sie Stickoxide.
Warum beim Diesel-Motor mehr Stickoxide entstehen hängt mit dem Unterschied zwischen Diesel-Motor und Benzin-Motor zusammen.
- Das Luft-Treibstoff-Gemisch wird im Diesel-Motor beim Verdichtungstakt bis auf etwa 20:1 stark komprimiert und wodurch sich das Gasgemisch auf etwa 700 bis 900 °C erhitzt. Diese Temperatur reicht aus, um das Luft-Treibstoff-Gemisch zu entzünden. Der Diesel-Motor braucht also keine Zündkerzen! Wegen der Glühdrähte bin ich mir nicht so sicher. Gerade im Winter musste man früher beim Diesel immer warten, bis „vorgeglüht“ war (ich war nie ein Diesel-Fahrer!) . Nebenbei ergibt sich aufgrund der höheren Verdichtung auch der besseren Wirkungsgrad des Dieselmotos. Der Zylinder legt im Kolben einen größeren Weg zurück (da ja mehr komprimiert wird, was dann wieder rausgedrückt wird!).
- Beim Otto-Motor wird weniger stark komprimiert und das Luft-Treibstoff-Gemisch wird erst gezündet, wenn an der Zündkerze ein Funke produziert wird. Die Abgastemperatur ist nach meinen Quellen beim Benziner größer als beim Diesel-Motor.
Das wesentliche Problem stellen die Stickoxide NO und NO₂ dar.
- NO entsteht durch die Verbrennung von Stickstoff, also N₂ + O₂⟶ 2 NO . Dafür sind auf jeden Fall hohe Temperaturen notwendig, denn die Dreifachbindung beim Stickstoff-Molekül ist sehr stabil.
- NO₂ entsteht, wenn NO weiter mit Sauerstoffreagiert (also quasi verbrennt): 2 NO + O₂ ⟶ 2 NO₂
Das Diesel-Motoren eine größere Menge an Stickstoffoxiden ausstoßen als Otto-Motoren ist chemisch nicht so einfach zu erklären. Die Seite von Prof. Blume beschäftigt sich ausführlich mit dem Vergleich von Diesel- und Benzin-Motoren und ist für Chemie-Kollegen oder ehemaligen Leistungskursler geeignet. (Weitere Infos rund um die Stickoxide bietet diese Seite von Prof. Blume). Dahinter steckt auf die Tatsache, dass die genannten Reaktionen keine „Einbahn-Reaktionen“ sind. So kann z.B. NO₂ auch wieder zu NO und O₂ zerfallen. Also nicht 2 NO + O₂ ⟶ 2 NO₂ sondern 2 NO + O₂ ⇄ 2 NO₂. Solche sogenannten chemischen Gleichgewichte lassen sich aber durch verschiedene äußere Einflüsse verschieben und man hat dann Gleichgewichte der Art ⥂ oder ⥄ .
Beim Diesel nicht unbedingt in so großen Mengen vorkommend, aber ein schönes Experiment, gibt es mit NO₂ und N₂O₄ . Bei Raumtemperatur hat man ein Gemisch aus NO₂ und N₂O₄ was man als Gleichgewichtsreaktionen dieser Art schreibt 2 NO₂ ⇄ N₂O₄ . Dieses Gleichgewicht verschiebt sich je nach Temperatur und diese Verschiebung ist gut zu sehen, denn NO₂ ist rot, das N₂O₄ dagegen ist ein farbloses Gas. Im Video sieht man, wie sich die Anteile an NO₂ und N₂O₄ bei verschiedenen Temperaturen verändern. Kalt = blass ⇒ wenigerN₂O₄ , warm = dunkel mehrN₂O₄.
Abgasreinigung beim Diesel
Lassen wir mal die anderen Abgase außer Acht, so muss man beim Diesel vor allem das Stickoxid NO reduzieren. Und da soll, laut einem Artikel der Zeit, BASF die geniale Idee gehabt haben, Harnstoff zu verwenden, um das NO quasi weg zu reagieren lassen. Harnstoff, einer der Bestandteile von Urin, hat die chemische Formel (NH₂)₂CO. In Deutschland wird das Harnstoff-Wasser-Gemisch unter dem Namen AdBlue vertrieben.
Die Abgasreinigung geschieht in mehreren Schritten:
Der Harnstoff wird aufgrund der hohen Temperaturen der Abgase zerlegt in Ammoniak NH₃ (Ihr kennt das sicherlich: „Nase frei mit NH₃!“) und HNCO, auch Isocyansäure.
Die Isocyansäure reagiert mit Wasser, das beim Verbrennen von Kohlenwasserstoffen sowieso entsteht, und es entsteht mehr Ammonika und Kohlendioxid CO₂ („normales“ Abgas auch bei Kohlenwasserstoffen)
Das Ammoniak kann mit NO und NO₂ reagieren und es entsteht dabei das unschädliche Stickstoff N₂ und wieder Wasser H₂O.
Alle Endprodukte sind also, im Gegensatz zu den Stickoxiden, absolut ungiftig.
Eine wichtige Voraussetzung, dass das Ganze optimal abläuft, ist allerdings, dass man die genauen Mengen an AdBlue, also Harnstoff zum Abgas dazu gibt. Die Chemiker nennen das „stöchiometrisch“. Was wäre aber, wenn man nicht die richtige Menge dazu gibt?
- zu wenig Harnstoff würde dazu führen, dass noch NO und NO₂ übrig bleiben.
- zu viel Harnstoff würde dazu führen, dass das auf jeden Fall entstehende Ammoniak NH₃ nicht verbraucht wird, sondern als Abgas frei wird.
Die Aufgabe der Techniker ist also, genau festzustellen, wie viel Harnstoff benötigt wird und dann muss nur noch die richtige Menge an AdBlue eingesetzt werden. Naja, und genau da ist das Problem … das ist nicht so einfach.
Schummelsoftware
Da ich zwar nicht zum Chaos-Communicaton-Congress des Chaos-Computer-Clubs nach Hamburg fahren kann, nutze ich das inzwischen fast perfekte Streaming und ziehe mir das eine oder andere Video rein. Unter anderem war dabei eines, wo auf den Diesel-Skandal eingegangen wurde, auch wie diese Schummelsoftware funktioniert. Einer der „Hacker“ hat seinen VW-Diesel und die Steuersoftware unter die Lupe genommen.
Ein Artikel auf golem.de fast alles ein wenig zusammen. Wer es ausführlich haben will, kann sich gleich das ganze Video (englisch!) anschauen.
Ganz kurz zusammen gefasst könnte man es so sagen:
Wie schon erwähnt, muss bei Zuspritzen vom Harnstoff möglichst genau klar sein, wie viel NO vorhanden ist. Bei einer dynamischen Fahrweise ist die benötigte Menge natürlich nicht konstant. Und so hat man es sich wohl bei Bosch (die die Steuerung lieferten) einfach gemacht und die Harnstoff-Zuführung außerhalb des kontrollierten Bereiches (wo die Abgas-Messungen stattfinden) schlicht und einfach abgeschaltet. Man erinnere sich daran: zuviel Harnstoff würde zur Freisetzung des noch giftigeren Ammoniaks führen und dass will man erst recht nicht. Also war wohl das Motto: „Lieber mehr NOx als Ammoniak“.
Und das Software-Update?
Viele regen sich darüber auf, dass die Autoindustrie „nur“ die Software updaten will. Wie schon erwähnt, führt ja vor allem das Abschalten der AdBlue-Zufuhr dazu, dass so viele Stickoxide frei werden. Dann ist es nämlich so, als ob gar nichts gemacht wird. Klar muss man aufpassen, dass kein Ammoniak entsteht, aber es könnte immerhin versucht werden, zumindest ein Teil der Stickoxide zu entfernen. Und das sollte sich mit einem Update der Steuersoftware für die AdBlue-Zuführung auf jeden Fall regeln lassen.
Wie gut das dann bei hohen bzw. wechselnden Geschwindigkeiten geht, ist eine andere Frage!
Und ob sich dann der tolle Turbo-Diesel dann wie ein LKW anfühlen wird, ist nur zu vermuten, denn wenn es gehen würde, hätte man es ja sicherlich gemacht. Die Abgas-Reinigung bei LKW ist übrigens, vermutlich aufgrund der weniger „komplizierten“ Fahrweise, recht erfolgreich, was die Entfernung der Stickoxide betrifft.
Der Diesel-Skandal im Chemie-Unterricht
Ich finde das Thema optimal für den Chemie-Unterricht, denn wie ihr – liebe Leser – wissen auch die meisten Schüler nicht viel darüber. Einbringen kann man es mit dem Thema:
- Stöchiometrie Dazu habe ich bei Tutory.de ein Arbeitsblatt erstellt, gerade als der Abgasskandal recht frisch war.
- Gleichgewichtsreaktionen Neben dem Gleichgewicht 2 NO₂ ⇄ N₂O₄ kann man auf die Infos aus dem Artikel von Prof. Blume eingehen.
- Molekülformeln und ihre Form Die vielen Stickoxide liefern viele Aufgaben zur Lewisschreibweise und es gibt viel zu lernen über Bindungswinkel, Radikale und Ladungen in eigentlich neutralen Molekülen.
- Medienkompetenz Es geht zwar etwas über das Thema des Diesel-Skandals hinaus, aber man könnte zum Einstieg mal fragen, was denn da wirklich dran ist am „schlimmen“ Diesel und dem „guten“ Benziner. Sucht man bei Google findet man eine Vielzahl an Seiten verschiedenster Art. Aber welche Seite ist neutral? Dazu habe ich mir mal eine Aufgabenstellung überlegt.
Toller Artikel mit einer sehr guten Erklärung. Da bleiben keine Fragen offen.